Ein Graffito des britischen Künstlers “Banksy”, an der Wand einer Station der Rettungsschwimmer, am Strand von Calais. ©Foto: Ville de Calais.
Von STEFAN ENDELL
Dieses eine Wort, diesen Begriff haben wir schon alle einmal gehört: Der Dschungel von Calais. Und immer wenn wir es hören, sind wir verstört: Denn mit der Beschreibung von dem Dschungel in dem Tausende von Flüchtlinge dieser Welt stecken und darben, flackern Bilder vom Chaos, von Flucht und Elend, von Gewalt, Mord, Raub und Vergewaltigung, von furchterregender Abwesenheit von formalem Recht und von schmerzlicher Abwesenheit von Menschlichkeit mit. Dieser Dschungel – und jetzt noch die Reste dieses Dschungels – er liegt nur vier Auto-Stunden von Duisburg entfernt, anzutreffen in der französischen Partnerstadt von Duisburg – in Calais. An der Küste, auf einer alten Müllkippe – den Sehnsuchtsort England fest im Blick, scheinbar zum Greifen nahe.
Der Dschungel von Calais, keine Sternstunde der Menschheit – so die Überschrift einer beklemmend informativen Vortragsveranstaltung, zu der die Deutsch-Französische Gesellschaft Duisburg am Dienstag, 8. November 2022, in das Internationale Zentrum der VHS Duisburg an den Innenhafen eingeladen hatte.
Robert Tonks (67) ein deutsch-britischer Politikwissenschaftler und Autor, in Duisburg auch als der mittlerweile im Ruhestand befindliche stellvertretende Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen wohl bekannt, gab dem anwesenden, hoch interessierten Publikum mit einer gut dokumentierten Power-Point-Präsentation multimedial in Wort, Bild und Bewegt-Bildern jede Menge an faktenreichen Informationen.
Und stellte auch so manche Frage: Warum nur wollen diese Flüchtlinge aus aller Welt – meist “people of colour” – bloß alle nach England? Weil sie dort Verwandte haben? Weil sie die gleiche Sprache sprechen? Weil es dort keine Einwohnermeldeämter gibt und man deshalb dort gleich nach der illegalen Einwanderung anonym und unerkannt bleiben kann? Hat der Brexit das Flüchtlings-Elend größer oder kleiner gemacht? Warum schirmt Frankreich mit einem 37 Kilometer langen Sperrzaun – der vier Meter hoch ist und viele Millionen Euro teuer war – eigentlich das Land in Richtung Brexit-Großbritannien ab? Warum macht Frankreich für die Briten diese Drecksarbeit?
Robert Tonks, deutsch-britischer Politikwissenschaftler und Autor, ehemaliger stellv. Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen der Stadt Duisburg. ©Foto: DFG Duisburg
Tonks führte seine Zuhörer durch einen klar gegliederten und mit zahllosen Informationen bestückten Vortrag, der mit emotionalen wie feinsinnigen klagenden Graffiti-Bildern des britischen Streetart-Künstlers Banksy in Calais begann, und dann von dem Anfang und dem Ende dieses Dschungel-Flüchtlingslagers berichtet, in dem bis zu 10.000 Menschen (davon 1000 Kinder) lebten.
Sehr interessant, sehr aufschlussreich war die britische Perspektive dieses Dramas, die der deutsch-britische Doppelstaatler Robert Tonks an diesem Abend den Zuhörern sehr gut und glaubhaft vermitteln konnte. Wie ticken die Briten? Da sei in britischen Brexit-Parolen im Zusammenhang mit dem Flüchtlings-Thema stets auch von “Feinden des Friedens” die Rede , von Menschen-Schwärmen, die insekten-gleich wie eine Invasion über die Insel herfallen .
Und schließlich zum Ende des Vortrages kam die Frage nach dem Danach und der Perspektive.
Der Dschungel ist seit 2016 aufgelöst, und doch geht alles scheinbar genauso weiter. Perspektive? Noch immer gibt es keine. Nicht für die Flüchtlinge, nicht für die entnervten Menschen von Calais. Europa ist ratlos und hilflos und ansatzweise inhuman im Umgang mit menschlicher Not – so das bittere Fazit dieses Abends. Wo liegt die Lösung? Ist sie national oder europäisch?
Die Flüchtlinge, die in Großbritannien Asyl suchen aber einfach nach Ruanda auszufliegen, so wie es derzeit die britische Regierung stolz und strahlend propagiert, ist nach Worten des Referenten Tonks keine faire Lösung von Menschen für Menschen, sondern nur Ausdruck eines dumpfen Populismus’.
Am Ende stellte Tonks dann die Feststellung des französischen Schriftstellers Emmanuel Carrère in den Raum, der da sagte: „Ich bin ganz sicher nicht in der Lage zu sagen, wer der Hauptverantwortliche dafür ist: Der französische Staat, der nicht tut, was zu tun wäre, England, das sich von Europa nimmt, was ihm passt, und uns mit dem Rest allein läßt, oder Präsident Bush, der mit seiner Eroberung des Irak den komplizierten Orient in Brand gesetzt hat. “
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