
Ferngespräch 2025
Zwei Frauen auf den Spuren ihrer Vergangenheit.
Marine Bachelot Nguyen wurde in Frankreich geboren. Sie lebt als Autorin, Dramaturgin und Theaterregisseurin in Rennes. Ihr Vater ist Bretone, ihre Mutter stammt aus Vietnam. Marine spürt, dass zwischen ihren drei Geschichten etwas zirkuliert. “Circulations Capitales” heißt ihr Erinnerungsprojekt, das 2018 in Saigon entsteht und später in Frankreich zu einer Theateraufführung und einem Buch wird.
Nahed Al Essa floh 2015 vor dem Krieg in ihrer Heimat Syrien. “4222 Kilometer” – so heißt auch ihr Buch – waren es von Damaskus bis ins Ruhrgebiet. Heute lebt sie in Bochum. In 10 Jahren schuf sie hier eine Existenz für sich und ihre beiden Kinder. Sie lebte sich perfekt in ihre neue Umgebung ein und lernte in dieser Zeit die deutsche Sprache in einer solchen Intensität, das sie heute als Schriftstellerin bestehen kann. Die neue Sprache schafft ihr die Distanz, Herkunft, Flucht und neue Heimat zu reflektieren.
Sensibel moderiert von Gabriel Rodriguez-Silvero, Dramaturg am Theater Moers, schenken beide Frauen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung einen tiefen Einblick in die Realität dessen, was in der Politik, den Medien und der öffentlichen Diskussion so pauschalierend und oft diskriminierend als “Migration” dargestellt wird.
MARINE, in der zweiten Generation in Frankreich lebend, analysiert formal in der Nachfolge des brechtschen Theaters die ideologischen Wurzeln ihrer vietnamesischen und französischen Familie, um die Spuren der eigenen Identität zu definieren. Eine intellektuelle Annäherung an ein Leben zwischen Erfolg und latenter Diskriminierung.
NAHED dagegen ist in ihren Miniaturen in Prosa und Lyrik ganz Emotion, gefiltert durch distanzierende Intelligenz und hintergründigen Humor. Irisierend zwischen dem Traum von einer verlorenen Heimat, der Erinnerung an die lebensgefährliche Flucht und der Eroberung einer fremden Kultur und Sprache, widerlegen ihre Darstellungen grundlegend Klischees über die Migration, wie sie in den Medien und in der Gesellschaft zirkulieren. Ihre Texte über das Leben in Deutschland spiegeln in bisweilen sanft sanft getönter Satire unsere bundesdeutsche Wirklichkeit. Ihr Motto “Lächeln bedeutet Überleben” sagt viel über ihr Persönlichkeit aus. Danke dafür, liebe Nahed! Danke auch, liebe Marine. Ihr hättet mehr Publikum verdient an diesem Abend. Überhaupt habt ihr es verdient, gehört zu werden.Eure Stimmen haben die Kraft, das Denken vieler Menschen zum Guten verändern!
Diese Veranstaltung war eine Zusammenarbeit zwischen “literaturgebiet. ruhr”, der “Kulturstiftung NRW” und der DFG Duisburg
Nahed Al Essa: 4222 Kilometer, Geest-Verlag 2023
Marine Bachelot Nguyen: Circulations Capitales, Lansman Editeur 2021
Text: Wolfgang Schwarzer, Bild: Dr. Claudia Kleinert

