War zu Gast bei der DFG Duisburg: Pascale Hugues, Deutschland-Korrespondentin von Le Point in Berlin und Autorin von zahlreichen Büchern. In Duisburg las sie aus ihrem Bestseller “Marthe und Mathilde”, der ergreifenden Lebensgeschichte ihrer beiden Großmütter aus dem elsässischen Colmar – die eine ist Deutsche, die andere ist Französin, (Foto: ©Stefan Endell).
(Duisburg, 18. Juni 2023). Wann eigentlich ist die deutsch-französische Geschichte vom Elsass zu Ende erzählt? Eine Geschichte, die voll ist von Schmerz, von viel persönlichem Leid, gefüllt von elenden Demütigungen und überbordendem Nationalismus! Die Antwort darauf ist ganz leicht: Sie ist dann zu Ende erzählt, wenn niemand mehr zuhören mag.
Ein Bericht von Stefan Endell
Am Freitag, dem 16. Juni 2023 konnten die rund 50 hoch interessierten Besucher der Autoren-Lesung der Deutsch-Französischen Gesellschaft Duisburg in Ruhrort (Plus am Neumarkt) feststellen, dass die Begegnung mit der französischen Journalistin, der in Straßburg geborenen Autorin Pascale Hugues immer noch hochinteressant und bitter lehrreich ist.
Der Auftritt in Duisburg wurde zu einem lebhaften Abend zwischen dem aus Berlin angereisten Gast und dem Duisburger Publikum – mit etwas Lektüre, ganz viel Gespräch und ebenso kenntnisreicher Gegenrede aus dem Publikum.
Das Thema war Pascale Hugues’ Erfolgsbuch aus dem Jahr 2008 „Marthe und Mathilde“. Die Autorin schildert in „Marthe und Mathilde“ die Freundschaft ihrer Großmütter. Fast ein Jahrhundert verbrachten die beiden im elsässischen Colmar, mussten die abwechselnde Besetzung der Region durch Deutsche und Franzosen ertragen. Dieses Buch beschreibt die Geschichte zweier Freundinnen, in deren Lebensläufen sich die Geschichte Deutschlands und Frankreichs und vor allem die des Zankapfels Elsass wie in einem Brennglas bündelt.
Als Mathilde mit ihrer Familie aus Landau in der Pfalz kommend im Haus von Marthes Eltern in Colmar einzieht, sind die Mädchen vier Jahre alt. Die deutsch-französischen Nachbarskinder freunden sich an, werden schier unzertrennlich. Doch der Erste Weltkrieg stellt die Freundschaft auf eine harte Probe. Deutsche und Franzosen stehen einander unversöhnlich gegenüber. 1918 ziehen die Franzosen als Sieger in Colmar ein, Elsass-Lothringen wird wieder französisch. Die deutsche Oberschicht – Beamte, Offiziere – muss Colmar verlassen.
Hugues: „Man nennt das im Elsass ‚l’éblouissement patriotique‘, patriotische Verblendung, und in diesem Klima hat man angefangen, die Deutschen hinauszuwerfen. Die hatten drei Tage, um das Land zu verlassen, dreißig Kilo Gepäck und ein bisschen Geld. Als die Deutschen gingen, kamen viele Elsässer, haben die Deutschen bespuckt und mit Pferdeäpfeln beworfen.“
Eine „ethnische Säuberung“, sagt Pascale Hugues, sei dies damals gewesen. Dies so auszusprechen, sei auch noch nach dem 2. Weltkrieg in Frankreich tabu gewesen. Selbst für die Geschichtswissenschaft sei dies ein heißes Eisen gewesen, fast kein Historiker habe sich getraut, über die Elsässer zu schreiben. Zudem kam das komplizierte Thema der „Malgré-nous“, der von den Nazis zwangsrekrutierten elsässischen Männer, die für Nazi-Deutschland kämpfen und töten mussten. Damit konnte man in Frankreich nur an Ansehen und Vertrauen verlieren.
Auch als de Gaulle und Adenauer 1962/63 die deutsch-französische Freundschaft neu schmiedeten, sagt Pascale Hugues, ließ man sicherheitshalber das hoch-komplexe Thema Elsass unberührt – die neue Freundschaft sollte nicht gleich wegen der merkwürdigen Elsässer ist Stolpern geraten.
Marthe und Mathilde heiraten und stellen u.a. fest, dass sich ihre beiden Männer damals als WK1-Soldaten offenbar bei Verdun als Feinde gegenüber standen – beide haben dies überlebt. Hugues: „Leider habe ich nie erfahren, was sich diese Männer später beim gemeinsamem Mittagessen davon erzählt haben.“
Viel haben die Besucher dieser Autoren-Lesung im Ruhrort Plus am Neumarkt dazu beizutragen, aus eigener Anschauung, aus der eigenen Familie. Viele Elsässer, so bestätigt Pascale Hugues hatten und haben heute immer noch (versteckt tief im Inneren) Angst, nicht als „echte Franzosen“ im Land anerkannt zu sein. Das Misstrauen ist immer noch (milde) da.
Hoch interessant und lehrreich dann zu hören und zu erfahren, wie die junge Enkelin von Marthe und Mathilde dann selber als Berichterstatterin nach Deutschland geht, ihre Großmutter Mathilde ist schwer begeistert – und wie die junge Frau dort sofort das historische Mega-Ereignis des Mauerfalls miterleben kann.
Ein lehrreicher Abend – ein wunderbarer Gast – merci an Pascale Hugues für ihren Auftritt in Duisburg.
Übrigens: Sie hat deutlich mehr als nur dieses eine Buch geschrieben. In Duisburg reißt sie kurz ihr jüngstes Werk an: Mädchenschule. Mit einem Poesiealbum fing alles an. Was ihre Schulfreundinnen im Jahr 1968 dort hineinschrieben, stehe für das „furchtbare Frauenbild“ jener Zeit, sagt Pascale Hugues. In zwölf Porträts beschreibt sie nun die Freundinnen von damals – und was aus ihnen geworden ist.
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