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Frankreichs Streit um die Rente – Fakten, Hintergründe, Einordnung

  • Datum: 18. Mai 2023
  • Kategorien: Archiv

Auf dem Podium und vor der Kamera der Hybrid-Veranstaltung der DFG Duisburg in der VHS Duisburg: (v.l.) Waltraud Schleser, Vorsitzende der DFG Duisburg, Odile Brogden (DFG Dortmund), Pascale Gauchard (Auslandsgesellschaft Dortmund u DFG Dortmund) und der Leiter des Deutsch-Französischen Kulturzentrums Essen, David Babin. (Foto: ©sten/DFG DU

(Duisburg, 18. Mai 2023). Geht es bei diesem heftigen Streit in Frankreich noch um die Rentenreform? Millionen zorniger Menschen auf der Straße, Autos brennen, das Parlament ist gespalten, und die Regierung würgt demokratische Prozesse ab: Die Deutsch-Französischen Gesellschaften Duisburg und Dortmund sowie das Centre Culturel Essen haben deshalb unter der Überschrift “Quo Vadis, Frankreich” zu einer Vortragsveranstaltung in der VHS Duisburg geladen, wo sie den zugeschalteten Online-Zuschauern sowie den Teilnehmern vor Ort keine politischen Meinungen, sondern ausschließlich Zahlen, Daten, Fakten und Hintergründe zur großen Debatte aufgezeigt haben. Eine Lehrstunde.

Bericht von STEFAN ENDELL

Auf dem Podium und vor der Kamera der Hybrid-Veranstaltung der DFG Duisburg in der VHS Duisburg Waltraud Schleser, die Vorsitzende der DFG Duisburg, Odile Brogden (DFG Dortmund), Pascale Gauchard (Auslandsgesellschaft Dortmund und DFG Dortmund) sowie David Babin, Leiter des Deutsch-Französischen Kulturzentrums Essen.

Nach einer Einführung ins Thema durch Pascale Gauchard, die kritisierte, dass in diesem besonderen Fall die deutschen Medien eher unzureichend über diesen Konflikt in Frankreich berichteten, und die darauf verwies, dass die Referenten keine Experten, sondern nur gut informierte Laien seien, startete der anspruchsvolle Marathon durch die Welt der Details, Fakten und Hintergründe.

Odile Brogden (DFG Dortmund) beleuchtete den Fakten-Hintergrund der Reform (u.a. sinkende Geburtenrate auch in Frankreich, ein Umlagesystem unter Druck, die Rechnung stimmt nicht mehr, der Staat ächzt unter der Last der von ihm kontinuierlich gemachten Ausgleichszahlung in die Rentenkasse…, besonderer Renten-Status bei Bahn, Metro oder Müllabfuhr . . );

David Babin (Centre culturel Essen) gab eine kleine Verfassungskunde der V. Republik und führte dann weiter aus: Macron befindet sich im 2. Mandat ohne eine Mehrheit in der Nationalversammlung, die Linke blockiere die Reformversuche mit einem Wasserfall an Änderungswünschen (mehr als 20.000 Änderungsanträge im Parlament), die Rechte im Parlament blockiere, in dem sie mit Macron und seiner Politik offene Rechnungen austrage, die extreme Rechte halte sich komplett still und sammele ohne eigenes Zutun haufenweise Protestwähler ein, ohne selbst irgendeine konstruktive Idee für eine Reform zu haben.

Und dann der Artikel 49.3 der Verfassung: Er gilt als die Brechstange der Regierung. Mit dem Paragrafen kann sie ein Gesetz ohne parlamentarische Abstimmung durchsetzen – riskiert damit allerdings ein oder mehrere Misstrauensvoten und damit letztlich ihr eigenes Überleben. Seit 1958 – seit diesem Jahr gilt die aktuelle französische Verfassung – wurde der Artikel mehr als  40 Mal genutzt. Bislang hatten aber dann alle Regierungen die damit verbundenen Misstrauensanträge im Parlament überstanden. So auch dieses Mal die Regierung von Elisabeth Borne, die es sogar mit zwei Misstrauensanträgen zu tun hatte.

Foto von einer Kundgebung in Paris auf der Place de la Republique – der Platz ist schwarz vor Menschen. Der Protest in Zahlen. Der Unmut der Menschen in den großen wie kleinen Städten, aber auch auf dem Land gegen die Rentenpläne des Präsidenten, aber auch gegen eine als undemokratisch empfundene Debattenkultur ist groß. (Foto: ©sten/DFG DU

Waltraud Schleser gab einen Überblick über die Landschaft der Gewerkschaften in Frankreich: die CGT, die CFDT, FSU, FO, UNSA, CGC . . . Der große Unterschied zu Deutschland, in Frankreich gebe es keine Branchen-Gewerkschaften, sondern sogenannte Richtungs-Gewerkschaften mit einer politischen Richtung. Solche Streitigkeiten wie derzeit in Frankreich seien lupenreine Kämpfe um eine politische Richtung, sprich politischer Streit und somit auch politische Streiks. Genau dieses Instrument sei aber in Deutschland per Verfassung und Gesetz verboten.

Schleser machte vor allem auf ein hartnäckiges Missverständnis innerhalb der deutschen Öffentlichkeit aufmerksam: Bei der Reform in Frankreich gehe es aktuell nicht um die Lebensarbeitszeit bis zur Rente ohne Abzüge – die liege in Frankreich wie in Deutschland ebenfalls bei 67 Jahren. Bei dieser Reform gehe es im Streit um das frühest mögliche Eintrittsalter in die Altersrente (natürlich meist auch mit Abschlägen und großen Verlusten) – von derzeit 62 Jahren auf dann 64 Jahre. In Deutschland könne man derzeit bereits mit 63 Jahren in Rente gehen (größtenteils unter Hinnahme von Abzügen und Verlusten).

Fazit und am Ende doch ein bisschen Meinung, wieder abgesichert durch Fakten: Macrons Vorgehen bei der Rentenreform und der harsche Tonfall vieler Aussagen hätten Folgen. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Ifop empfinden knapp 70 Prozent der Befragten Macron als “autoritär”, nur 17 Prozent seien der Meinung, dass er die Menschen hinter sich versammeln könne.

Macron stehen also vier schwierige Jahre bis zum Ende seines zweiten Mandates als Präsident der französischen Republik bevor.

Am Ende der Vorträge hatten die Zuhörer vor Ort wie Online im Chat noch jede Menge Fragen, die die Referenten kompetent und geduldig allesamt beantworteten.

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2023-09-07T11:40:22+02:00

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